Klimawechsel und der Einfluss von Robert Parker haben unbestreitbar einen steigenden Alkoholgehalt im Wein ausgelöst. Es geht dabei aber um wesentlich mehr als eine einfache Zahl – wie wir im Gespräch und beim Verkosten mit Paul Hobbs, einem der führenden Namen Napas, herausfanden.
Jeder, der schon einmal das Pech hatte alkoholfreien sogenannten Wein zu verkosten, weiß, dass Alkohol der Schlüssel zum Wein ist. Nimm ihn weg und man hat eine klaffende Lücke, die die Flüssigkeit im Glas seines Körpers und Geschmacks beraubt. Die, die sich bemühen, alkoholfreie Alternativen zu kreieren, versuchen den Mangel mit Zucker oder Aromastoffen zu kaschieren, aber das Endergebnis kommt dem Original nicht angehend nahe. Und natürlich ist der Gärungsprozess selbst der Schlüssel zur Komplexität – es gibt einen guten Grund, warum wir nicht einmal Proben des besten reinen Traubensafts von Einzellagen sammeln.
Aber Alkohol ist ein kontroverses Thema – und nicht nur aus gesundheitlichen Erwägungen.
Trends und Klimawechsel haben zu einem Ansteigen des Alkoholgehalts geführt. Ein im letzten Jahr veröffentlichter Beitrag von Liv-ex weist darauf hin, dass in Kalifornien und Bordeaux seit den 90er Jahren der Alkoholgehalt im Durchschnitt fast um ein ganzes Prozent angestiegen ist. Wenn 14 oder 14.5 % einmal als reine Domäne der Neuen Welt galten, ist das heute auch in Bordeaux schon fast normal.
Dafür sind nicht nur steigende Temperaturen verantwortlich, sondern auch Technologie und Know-how sowie effizientere Produktionsmethoden. Dazu kommt natürlich noch die Konsumentenvorliebe – der Schwung des Pendels hin zu fetten, reifen, süßen und damit unvermeidlich alkoholischeren Weinen wurde kaum bestreitbar von Robert Parker in Gang gesetzt.
„Er liebte diese Wucht, dieses Gefühl der Süße,“ sagt Paul Hobbs. „Wir sind auf den fahrenden Zug aufgesprungen – aber wir wussten nicht, wohin er fuhr.“ Hobbs, selbst ein Kultname, macht einige von Napas höchstbewerteten und teuersten Cabernets; Parker selbst hat ihn zweimal zu seiner Weinpersönlichkeit des Jahres ernannt.
Der in New York State geborene und in Davis ausgebildete Weinmacher gründete 1991 sein namensgleiches Weingut. Seine Laufbahn begann 1977 bei Robert Mondavi und dessen Opus One und Simi Unternehmen, bevor er sich mit einer Vielzahl von persönlichen Projekten und einer ständig wachsenden Liste von Beratertätigkeiten selbständig machte.
Er gibt offen zu, dass er selbst der „Parkerisierung“ zum Opfer fiel und wuchtige, schwere Weine machte – was kaum verwunderlich ist, wenn man sich die Bewertungen und die darauffolgenden Verkaufszahlen der sogenannten Parkerweine ansieht. Er hat sich aber in den letzten Jahren von dieser Machart verabschiedet und war eigentlich nie so richtig ein Ebenbild der Kult Cabernet Szene.
Schon als er in den 90er Jahren seinen eigenen Wein zu machen begann, setzte er auf Naturhefen (ziemlich revolutionär für jene Zeit) und verwendete weder Schönung noch Filtration. Eichenholz ist bei ihm willkommen, aber er war sich immer darüber im Klaren, dass es auf perfekte Trauben im Weinberg ankommt und die Bewahrung ihrer Qualität bei der Verarbeitung. Für die Erzeugung großer Weine ist makellose Sauberkeit im Keller unabdingbar.

Die Winzerlegende bei der Inspektion der Reben in seinen Napa Weinbergen.
Es kann keine Zweifel daran geben, dass Hobbs opulente, üppige Weine produziert, die nicht bei 12.5 % halt machen – aber für ihn geht es bei Alkohol um weitaus mehr als nur eine Zahl. „Am Anfang habe ich mir darüber keine großen Gedanken gemacht,“ sagt Hobbs. „Es gab dafür auch gar keinen Grund.“ Als er bei Mondavi arbeitete, lagen die Weine gewöhnlich bei 13,5 % - aber dann begannen sie, hochzugehen. „Da gab es sogar eine Zeit, wo 16 % normal war,“ staunt er heute.
„Manche dieser Weine waren sehr problematisch. Sie alterten sehr schnell. Aber das mussten wir erst einmal lernen, niemand hatte je damit Erfahrungen gemacht.“ Er erinnert sich, dass es in der britischen Presse heftige Kritik an Weinen gab, die nicht dem Geschmack „der Hugh Johnsons, Jancis Robinsons und Anthony Roses“ entsprachen; eine Reaktion, die er offensichtlich nicht ganz für gerechtfertigt hält.
„Es geht hier um vielmehr als nur eine einfache Zahl,“ sagt Hobbs. „15 ist nicht immer gleich 15.“ Und das ist wahr – Alkohol fühlt sich nicht immer gleich an. Wie oft haben Sie schon einmal auf das Etikett eines Weins geguckt und waren überrascht – im guten oder schlechten Sinn. Alkohol ist nur ein Bestandteil, dessen Wirkung im Wein im engen Zusammenhang mit dem Körper, der Konzentration und der Komplexität des Geschmacks steht. Man kann nicht in einer einfachen Zahl erfassen, wie er sich in die Gesamtheit der Komponenten integriert.
Es gibt aber noch einen anderen Grund, wieso der gleiche Alkoholgehalt unterschiedlich wirken kann: die Zusammensetzung des Alkohols. Der Hauptalkohol im Wein ist Ethanol (ein Molekül mit zwei Kohlenstoffen), aber die Gärung produziert noch andere Arten des Alkohols – genauer gesagt höhere Alkohole. Der englische Ausdruck „fusel oils“ ist abgeleitet von dem deutschen Wort Fusel“, das in der Umgangssprache auch für minderwertiges Gesöff verwendet wird. Fuselöle sind dickflüssiger, weil sich in ihrer molekularen Zusammensetzung mehrere Kohlenstoffe befinden. Während Ethanol ein reiner Alkohol mit relativ neutralem Geschmack ist, können die öligen höheren Alkohole – wenn auch nur in begrenztem Maß – auch den Geschmack sowie das Mundgefühl von Wein und damit auch seine Wahrnehmung beeinflussen. „Sie sind es, die auch aus Wodka mehr als nur eine alkoholische Flüssigkeit machen,“ erklärt Hobbs. Hexanole können pflanzliche Noten hervorbringen; 2-Phenylethanol riecht nach Rosenblüten. Aber man verbindet sie auch mit Kopfschmerzen und Kater. In der Welt der Spirituosen sind Fuselöle die, die zuletzt aus der Brennblase laufen – der sogenannte Schwanz („tail“) der Destillation, von dem mehr oder weniger verwendet wird, je nachdem welche Spirituose man produziert.
„Ist Alkohol gleich Alkohol? Je nachdem, ja und nein, “ meint Hobbs. Seiner Meinung nach sind es die höheren Alkohole, die einen Wein mit 15 % klobig und schwerfällig wirken lassen, während andere mit einem geringeren Anteil von Fuselölen den gleichen Alkoholgehalt viel besser verkraften.
Wieviel von diesen höheren Alkoholen produziert wird, hängt von vielen Faktoren ab wie z. B Hefestämmen, Temperatur, Verfügbarkeit von Sauerstoff und Säure. Generell bringen rote Trauben mehr dieser Verbindungen hervor (was auch teilweise der Grund dafür ist, dass man bei Spirituosen vorzugsweise weiße Trauben als Ausgangsmaterial benutzt). Hobbs glaubt aber, dass es letztendlich auf den Weinberg ankommt: Er hat festgestellt, dass hitzegeschädigte Trauben mehr höhere Alkohole erzeugen.
„Unser Ziel ist es, den Anteil höherer Alkohole so gering wie möglich zu halten – und dabei geht es erst einmal darum, keine Trauben mit Sonnenbrand zu verwenden.“ Unter der heißen kalifornischen Sonne können Sonnenschäden schon früh in der Vegetationsperiode auftreten, aber eingeschrumpfte Beeren fallen meistens von allein von den Trauben ab; zu größeren Problemen kommt es, wenn die Frucht im Innern beschädigt und damit ihre Reifung beeinträchtigt wird. Das macht eine frühe Selektion notwendig. Später in der Saison gehen Hobbs und sein Team durch die Rebzeilen und entfernen die Schultern der Trauben dort, wo sie zu sehr der Sonne ausgesetzt waren. Mit der Erwärmung als Folge des Klimawandels wächst auch diese Bedrohung und man muss sich Gedanken machen, wie man in der Zukunft damit umgehen kann.
Sonnenverbrannte oder geschrumpelte Beeren vergären schlechter und die gestressten Hefen produzieren deswegen einen größeren Anteil höherer Alkohole. „Der Wein wird fett und schwer am Gaumen“, sagt Hobbs. „Natürlich kann man den Alkohol durch Beigabe von Wasser reduzieren, aber das ändert nicht seinen Charakter.“ Wenn die Frucht sich im guten Zustand befindet, hat man dieses Problem nicht, selbst bei 15.5 % Alkohol. Wenn solche Weine dann auch noch die notwendige Balance haben, altern sie hervorragend.“

Kein Zahlenspiel: Das Weingut Paul Hobbs Katherine Lindsay im Russian River Valley.
Rajat Parr (zum Weinmacher gewordener früherer Super Sommelier) und Jasmine Hirsch vom Weingut Hirsch Vineyards gründeten 2011 das Unternehmen „In Pursuit of Balance“ (IPOB), um das Anliegen leichterer Weine zu verfechten, die in ihren Worten „nicht um die Bewertungen von Weinkritikern heischen“. Diese Weine des „neuen Kaliforniens“ (wie sie in dem 2013 erschienenen Buch „The new California Wine“ von Jon Bonné propagiert wurden) waren niedriger im Alkohol und benutzten weniger Eichenholz, im Einklang mit dem zurückschwingenden Pendel; eine Anti-Parker Bewegung sozusagen.
Paul Hobbs befindet sich wohl eher auf der anderen Seite des Spektrums kalifornischer Weine und stellt die Frage, ob alle Weine 13.5 % haben sollten. („Wieso ist das die magische Zahl?“). Aber von der Philosophie her sind sich beide Seiten erstaunlich nahe. Es geht ihnen nicht um Zahlen, sondern Harmonie – und Hobbs genau wie die Poster-Helden der Bewegung „Neues Kalifornien“ meint, dass das Geheimnis des Erfolgs im Weinberg liegt. Die Herausforderung besteht im Kultivieren und Ernten perfekter Trauben – genau den richtigen Zeitpunkt abzupassen, in dem sich Geschmack, Zuckergehalt und phenolische Reife im Einklang befinden. Oder wie Hobbs es auszudrücken liebt: „Es ist der Tanz von Mensch mit der Natur“. Vergiss die Mathematik: Hier geht es um Weinbau.
EINE ANMERKUNG ZU DEN ZAHLEN
Streng genommen entspricht der auf dem Etikett angegebene Alkohol nicht immer genau dem in der Flasche. Die EU und das Vereinigte Königreich lassen bei (heimischen oder importierten) einen Spielraum von 0.5 % zu, was heißt, dass die Angabe auf dem Etikett ziemlich genau dem Alkoholgehalt in der Flasche entspricht. In den USA und Australien jedoch beträgt der Spielraum bis zu 1.5 %, was bedeutet, dass Weine mit einer Angabe von 14 % zwischen 12.5 % und 15 % variieren können.
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Autorin: Sophie Thorpe